INTERVIEWS MIT HUBL GREINER
INTERVIEW I (1989)
THE BLECH im Gespräch
Hubl Greiner, Rupert Volz, Helmut Bieler-Wendt und Shirley Anne Hofmann sprechen mit Norbert Eierding und Peter Regelmann
PR: Mit wem reden wir jetzt? Dürfen alle was sagen, oder redet nur einer?
RV: Wir reden alle. Aber Hubl wird am meisten babbeln!
HG: Nein, stimmt nicht. Ich halt’s Maul!
RV: Nein, du sollst ja auch…
(unverständliches Durcheinander)
RV: Was ist das überhaupt für eine Frage?
PR: Das ist eine sehr wichtige Frage!
RV: Ich habe gesagt, die beiden (?) machen das Interview, aber wenn ich komme, will ich mitreden – d.h., ich muß nicht…
KD: Aber du darfst schon?
RV: Klar!
HG: Nein, wir machen das so – Shirley ist jetzt die Chefin. Jeder darf mal der Chef sein.
RV: Blödsinn!
PR: Liebt ihr euch?
RV: Nein!
SH: Doch!
RV: Wir gehen auch nicht in die Kirche. Wir zahlen keine Steuern, gehen zum Klauen…. klauen Zeug zum Fressen.
HG: Haaa, die Liebe wechselt immer, aber meistens liebe ich die Blechler… Rupi spricht dazwischen – also, laß mich doch mal ausreden…
(Gelächter)
RV singt: Die Liebe, die Liebe …!
PR: Was macht ihr eigentlich mit der ganzen Kohle, die ihr verdient?
RV: Die verfressen und versauffen wir – gnadenlos!
HBW: Und zwar einmal im Monat. (Alles lacht)
RV: Die Band hat einen Wahnsinnsruf, aber wie steht es mit eurem marktwirtschaftlichen Wert!
HBW: Am Anfang war alles so haarsträubend, normalerweise würde keiner dran denken, sowas wie Blech zu machen – für so wenig finanzielle Anerkennung zu arbeiten. Es ist zwar schön, wenn die Leute zu Tausenden von dir schwärmen und dir Briefe schreiben, aber wenn du nicht weißt, wie du am nächsten Ersten deine Miete zahlst, ist das schon komisch. In dem Moment, wo man aber anfängt, es zu machen, ist es auch wieder so gut, ist das Feedback so stark, daß Aufhören reiner Blödsinn wäre! Aber wir nutzen auch immer noch lange nicht alles aus, was möglich wäre!
HG: Weil das entsprechende Management fehlt! Weil die Leute im Hintergrund fehlen. Wir hatten ein Angebot von EMI, aber die sprechen nicht die Sprache, die uns weiter helfen könnte. Die wollen, dass wir Probe-Gigs für die Promoter machen, und wenn die nicht ziehen, ist die Sache gestorben. Darauf ist geschissen.
Mit Cassiber z.B. war das so, da hat Teldec den Vertrieb gehabt. Heiner Goebbels meinte, nee, macht das nicht, wir haben über Teldec nichts verkauft. Oder Frieder von den Dissidenten, die hatten einen Vertrag mit USI und haben Platten auf Empfehlung von David Byrne in Amerika herausgebracht. Aber Frieder meinte, da geb‘ ich keinen Penny drauf. Er hat immer so gearbeitet, daß er die eigene Infrastruktur soweit wie möglich ausgebaut hat, bis er irgendwann die Leute hatte, auf die er sich verlassen konnte.
Was wir brauchen, ist ein guter Manager, der gute Kontakte in unserer Szene hat. Es gibt im Moment zwei Leute, mit denen wir verhandeln. Einer in Frankfurt soll sich um die Promotion kümmern: alles was mit Presse, Radio, Fernsehen zu tun hat. Und die JARO Medien GmbH aus Bremen soll die Tourneen und Interviews checken und die Tonträger veröffentlichen.
Gut wäre auch ein zahlungskräftiger Sponsor. Wir haben soviele Ideen, die sich nur mit Kohle realisieren lassen: Big Band zum Beispiel.
RV: Oder wir laden eine Sängerin vom Bulgarischen Frauenchor ein oder andere spannende Gastmusiker und versuchen neue Verbindungen zu schaffen. Wir haben unsere Struktur im Griff, jetzt kann es drüber hinausgehen!
PR: Seid ihr käuflich?
HG: Irgendwann hatte McDonald’s bei mir angerufen, ob wir ein Werbebanner auf der Bühne während unseres Konzerts im Theater Mossowjet in Moskau aufhängen, sie würden uns 70.000 Mark dafür bezahlen (das Konzert wurde live im russischen Fernsehen übertragen). Thero und Rupi waren gerade bei mir. Ich sagte, ich hab kein Interesse! Nö, wir auch nicht, war die Antwort. Ich sagte ab, das wars. Es gibt halt schon Grenzen, bei dem Ganzen Business-Scheiß und McDonald’s, die von Organisationen wie Greenpeace als große Umweltsünder eingestuft werden, gehört da sicher dazu.
RV: Ja, aber was heißt das: käuflich? Natürlich bin ich käuflich, aber hin und wieder denke ich: oh Kacke, ich werde immer unkäuflicher! Mir geht’s nicht nur um die Kohle, aber im Prinzip haben wir nur eine Chance, wenn wir alles kommerzialisieren, was es zu kommerzialisieren gibt. Warum auch nicht, wir wären ja blöd, wenn wir’s nicht täten. Das hat für mich aber nichts mit Kommerz im negativen Sinn zu tun, wenn wir eine Idee realisieren möchten und versuchen davon auch leben zu können.
PR: Ihr habt vor der Wahl für die PDS gespielt!
HG: Also, bevor das Konzert bei der PDS angefangen hat, hab‘ ich zum Publikum gesagt, wir spielen hier zwar für die PDS, aber wir als THE BLECH identifizieren uns nicht zwingend mit der Partei und ihrem Programm. Ich hab‘ gesagt, dass THE BLECH eine eigene Partei ist und wir unser eigenes Programm heute Abend vorstellen werden. Ich gehe im Dezember also nicht zur Wahl und wähle die PDS, beziehungsweise, ich behalte mir das vor. Ich hätte auch für die Nazis gespielt, na klar. Ich finde Auseinandersetzungen wichtig, in jeder Hinsicht. Ein Gig für die Nazis, wäre eine Konfrontation, aus der sicher heftige Auseinandersetzungen enstehen würden! Und Gespräche sind immer die Basis der Demokratie!
RV: Mit dem, was wir machen, sind wir eine Bewegung. D.h., wir entscheiden uns für uns, und die anderen entscheiden für sich! Und dann debattieren wir drüber!
PR: Seid ihr unabhängig vom Publikum?
HBW: Publikum und Musiker haben unterschiedliche Rollen. Das Schöne auf der Bühne ist, wenn im Publikum ein Funke überspringt und plötzlich ein Konnex da ist. Das ist schon verrückt! Du kannst nicht sagen, ich will, daß das Publikum das und das macht. Das Publikum ist jedesmal neu. Du kannst nur deine Sache machen, so gut wie möglich und hoffen, daß der Funke überspringt. Du kannst zwar auch alles durchplanen und ne einstudierte Show abliefern, aber das verliert an Lebendigkeit – das ist langweilig, da geht für mich die Überraschung flöten. Was THE BLECH auszeichnet, ist das Risiko, das in jedem Konzert und in der Musik selbst steckt. Im Risiko steckt die Chance auf echten Gewinn! Wir wollen keine Methoden anwenden, von denen man weiß, dass das Publikum positiv darauf reagiert, wir wollen uns und das Publikum überraschen – uns eine gewisse Magie und Frische bewahren.
RV: Aber was passiert, wenn du als Band nicht den Nerv triffst?
HG: Da muß ich meine Lieblingsgeschichte erzählen. Wir waren das erste Mal in Polen, waren total euphorisiert – das war 1987 in einem Klub in Krakau. Der Klub war ausverkauft und wir spielten unser erstes Stück. Als das Stück zu Ende war, hat keiner geklatscht – niemand! Wir schauten uns an – ist das in Polen vielleicht so? Dann spielten wir das zweite Stück – wieder klatscht keiner. O.K., meine Güte, wir dachten, vielleicht liegt’s ja daran, daß kein Alkohol ausgeschenkt werden darf oder dass alle kollektiv deprimiert sind? Nach dem dritten Stück klatscht wieder keiner – das war der Hammer! Wir waren dann schon auch a bisserl irritiert. Unser damaliger Geiger Bagdad ging dann aber ans Mikro und sagte: „Polish people, now I play a short song, and this song is very short, it´s really fucking short, but it´s only for you – and it’s called – KAPUSTA“ – das heißt SAUERKRAUT auf deutsch – dann fiedelt er los – total schräg – und schreit am Ende wieder – „KAPUSTA“ – kurze Stille – die ersten fangen an zu grinsen! „And now polish people, I play another song, and this song is very short, it´s really fucking short, but it’s only for you and it’s called…??? Da riefen einige aus dem Publikum bereits – KAPUSTA? Er schreit „Yeahhhhhh…“ und geigt wieder los – und dann ging die Post ab – die Leute haben getobt, waren wie umgedreht – total verrückt. Von da an konnten wir spielen, was wir wollten, der Funke war übergesprungen. Die haben gemerkt, dass wir nicht irgendwelche Aliens sind – und es lag echt an uns, diesen Funken zu zünden. Mit einigen hatten wir dann bei irgendjemand zuhause die ganze Nacht durch Wodka gesoffen. Das war schon ein sehr lehrreiches Erlebnis, unglaublich!
PR: Warum habt ihr kurze Haare?
RV: Nächstes Thema! Bullshit!
(Gelächter)
RV: Überhaupt – wir haben eine neue Musikerin in der Band!
PR: Nämlich?
RV: Shirley Hofmann!
PR: Wie kam das, Shirley? Im Kulturladen hat es sich angehört, als wenn du schon länger dabei bist!
SH: Tja, wie kam ich in die Gruppe? Über Hubl. Der hat eine Platte aufgenommen mit dem alten Blech-Keyboarder Therofal und Uwe von Trotha (Checkpoint Charly) und da hab ich was drauf gespielt.
HG: Ich hab damals gedacht, Mann gibt’s das, so ne Mega-Musikerin?
RV: Shirley ist super! Sie groovt total!
HG: Was mich so beeindruckt hat: Sie kam an, hörte sich das Stück einmal an und meinte, sie sei bereit. Sie spielte fucking beeindruckend – genial, ganz locker und frei… und wie ich hörte, daß sie auch noch Keyboard spielt und singt …
SH: … und ein Auto hat … (Gelächter)
HG: … und gut aussieht, das Auto meine ich! Nee, Scherz. Sie hat nur einen Fehler: Immer wenn ich ein Solo spiele, läuft sie durch’s Bild (grinst)
SH: Oioioi! So sind sie, die Buben (lacht)
PR: Shirley, wie lange bist du jetzt dabei?
SH: Seit Juni etwa.
PR: Wie kommt es, daß es mit euch schon so gut klappt?
HG: Sie ist halt einfach gut! Sie spielt unser Zeug saugut und groovt auch noch verdammt!
RV: Sie hat ein wahnsinns musikalisches Gespür.
SH: Für mich ist das so eine Sache mit dem Üben. Ich finde das gar nicht so schwer. Ich verstehe nicht, warum die manchmal so beleidigt sind!
RV: Na, weil’s bei uns nicht so leicht geht!
PR: Wir haben vorher über das Haareschneiden gesprochen. Ihr habt dazu eine Maschine benutzt! Was haltet ihr von Maschinen? Ihr heißt THE BLECH, ihr spielt Instrumente, keine Maschinen!
SH: Doch, viele!
HG: Was ist eine Maschine? Ist das eine Maschine? Nein, das ist ein Schlüssel! Ist ein Hammer eine Maschine? Nein, das ist ein Werkzeug.
RV: Wir nehmen Maschinen und Werkzeuge zum Spielen!
HG: Also, ich find Maschinen gut, außer Maschinen-Gewehre!
PR: Was haltet ihr von Urlaub?
HBW: Also, ich hab‘ einmal Urlaub gemacht in meinem Leben. Da bin ich mit Freunden ins Tessin gefahren. Wir sind mit dem Auto gefahren und haben uns in die Sonne gelegt und am zweiten Tag hab ich mir überlegt, wie ich jetzt am besten wieder wegkomme. Soviel zum Thema Urlaub.
HG: Gibt’s für mich nicht! Weiß nicht… kenn‘ ich nicht!
RV: Urlaub gestehe ich mir dann zu, wenn ich ausruhen muß. Weil ich alles sehr konzentriert mache.
HBW: Aber dann bleibst du hier, gehst nicht in Urlaub, fährst nicht weg.
RV: Wenn ich mit der Band zusammen bin, muß ich mich irgendwann aufgrund von dem Mega-Stress dazu entschließen, jetzt brauch‘ ich zwei oder drei Tage Ruhe… dann fahr‘ ich heim!
SH: Genauso bei mir: Wenn ich heimfahre, ist auch Urlaub!
PR: Bei dir ist daheim natürlich ziemlich weit weg!
SH: Ja, da muß ich mir zwei, drei Wochen Zeit nehmen.
NE: Wenn ich heimführe, wüßt‘ ich gar nicht wohin.
PR: Wir danken euch für dieses Gespräch!
INTERVIEW II (2006)
HULU PROJECT
Luigi Archetti ist ein in der Schweiz lebender italienischer Gitarrist und visueller Künstler. Ein Journalist nannte ihn einmal einen ‚begnadeten Saitenquäler‘. 1996 waren Luigi und ich auf Tour in Russland und Sibirien, zusammen mit Rupert Volz. Luigi konnte loslegen und ordentlich Krach machen. Sein Spiel hatte etwas Bissiges und gleichzeitig Berührendes, Nachdenkliches und Ausdrucksstarkes. Das fand ich ziemlich gut. Nach der Tour hatten wir beide Lust auf ein gemeinsames Projekt und gründeten das HULU PROJECT (1997 bis 2007), an dem sich immer auch Gastmusiker beteiligten.
Wer hört eure Musik? Wer ist bereit sich in dieses Labyrinth zu begeben?
Da wir uns für viele verschiedene Themen interessieren und dabei auch immer in unterschiedliche Genres eintauchen, sprechen wir vermutlich nicht nur eine Szene an. Ich nehme an, es sind vor allem Menschen, die eine Vorliebe für spezielle Musik haben.
Welche Themen haben euch interessiert?
Da kann ich eigentlich nur für mich sprechen, da Luigi vielleicht etwas ganz anderes an unseren Projekten interessiert hat.
Ich war 11 Jahre mit THE BLECH zugange. Wir hatten ziemlich Gas gegeben, waren total überdreht, immer in Bewegung, immer einen Schritt schneller und lauter als der Rest – ohne Pause, ohne Rücksicht – immer auf Provokation aus.
Als wir uns 1996 entschlossen aufzuhören, wollte ich etwas Anderes probieren. Ich machte endlose Waldspaziergänge mit meiner Hündin Quasi und fing an, alte Jazz-, Soul- und Funk-Platten und Film-Soundtracks zu sampeln und Loops daraus zu bauen.
Es war gerade die Zeit, in der die digitale Welt auf die analoge traf. Ich verkaufte meine alten Bandmaschinen und stieg auf einen Computer um. Damit hab ich Beats programmiert und Songs gebastelt. Ich hatte so eine wage Idee von recht düsteren und melancholischen Soundtracks mit einer coolen Atmosphäre.
Musik muss für mich nicht unbedingt „schön“ sein. Das Unperfekte bringt eine besondere emotionale und ästhetische Dimension in die Musik und trägt zur Authentizität, Spannung und Tiefe bei. Es betont sozusagen den menschlichen, unvorhersehbaren Aspekt und reflektiert die Brüche und Unvollkommenheiten des Lebens – darin liegt für mich die tiefe Schönheit.
Auch meine Songs sind nicht perfekt und beinhalten oft geräuschhafte Klänge, die normalerweise als Fehler angesehen werden. Ich mag z.B. Songs mit leicht verstimmten Instrumenten, Verzerrungen, Rauschen, Knacken oder anderen klanglichen „Unreinheiten“. Das erzeugt für mich eine ganz besondere Atmosphäre. Das ist irgendwie mein Naturell, neue Klänge zu finden, Sound zu erforschen und die Grenzen der Produktion zu erweitern.
Ich bin dann mit dem Material in die Rote Fabrik nach Zürich, in der Luigi sein Atelier hatte. Nach mehreren Aufnahme-Sessions hatten wir das Gerüst für einige Songs. Anschließend bin ich losgezogen, um Gastmusiker zu finden, die Bock hatten mitzumachen. Darunter war auch Eric Babak, den ich ungefähr zur gleichen Zeit kennen gelernt hatte. Er hat mit seinen düsteren Arrangements dem ganzen noch den finalen Schliff gegeben. Er hat das Album auch in seinem Studio abgemischt.
So entstand das Album Chat!
Obwohl Warner/Chappell Music als Majorlabel beteiligt war, war „Chat“ das erfolgloseste Projekt, das ich je gemacht habe. Aber ich bin trotzdem stolz auf das Album, es gefällt mir sehr.
Klangkunst und Synästhesie
Dann kam Cubic Yellow, eine eher elektronische Produktion, mit düsteren, geräuschhaften Sounds und schweren Drum’n’Bass Beats. 1995 hatten Luigi und ich im Rahmen eines Filmfestivals in der Roten Fabrik drei Frühwerke von Roman Polanski improvisatorisch live vertont. Weil das großen Spaß gemacht hat, entschlossen wir uns, die Soundtracks als Basis für ein neues Album zu verwenden.
Wir haben die live mitgeschnittenen Sounds mit Sampler, Synthesizer, Effekten und einer DAW weiter berarbeitet, übereinandergelegt, zerschnitten, anders plaziert oder durch Loops zum Wiederholen gebracht. Ich hab die Beats programmiert und Luigi hat weitere Sounds mit seiner preparierten oder elektronisch modifizierten Gitarre kreirt.
Bei Cubic Yellow haben wir uns auch mit dem Thema Synästhesie beschäftigt. Das Album könnte als Anregung gesehen werden, mit der subjektiven Wahrnehmung zu spielen. Es wäre spannend zu sehen, wie Klänge „aussehen“ oder wie Farben „klingen“, und welche emotionale oder intellektuelle Wirkung diese neu interpretierten Wahrnehmungen auf jemanden haben.
„Cubic Yellow“ ist musikalisch etwas völlig anderes als „Chat“ geworden. Es bewegt sich in Genres wie etwa Freestyle Electronica, Ambient, Illbient, Dub, Drum’n’Bass, und wie die Stile auch immer genannt werden.
Intensive schamanistische Gesänge aus Sibirien treffen auf westliche Klub-Kulturen
Das nächste Album TranceSiberia entstand aus dem Nachhall unserer Russland- und Sibirien-Tour 1996. Misha Maltsev, ein Regisseur und Journalist aus Jakutsk, hatte uns gefragt, ob wir Interesse an einer Zusammenarbeit mit Stepanida Borisova hätten.
Stepanida ist eine jakutische Schauspielerin, Performerin und Sängerin, deren Gesang tief im Schamanismus verwurzelt ist. In Jakutien (Sacha) sind viele traditionelle Musikformen eng mit schamanistischen Praktiken verbunden. Diese Musik spiegelt die tiefe Verbindung zu Natur und Spiritualität wider. Schamanen nutzen Musik, vor allem den Gesang und Trommeln, um in Trance zu gelangen und mit Geistern oder Naturkräften zu kommunizieren. Diese Gesänge sind Teil ritueller Zeremonien und sollen Heilung bringen oder Weisheit von den Geistern vermitteln. Auch Stepanidas Gesänge werden für solche Zeremonien verwendet.
Zunächst versuchten wir, das Projekt über die Distanz Deutschland-Jakutien zu entwickeln – über den Postweg. Aber bald merkten wir, dass das unmöglich war: Die Tapes brauchten drei Monate, um in Jakutsk anzukommen, und der kulturelle Unterschied war so groß, dass wir ohne gemeinsame Absprache keine Entscheidungen treffen konnten. Wir wollten nicht die tausendste CD machen, bei der eine exotische Stimme gesampelt und über westliche Beats gelegt wird. Wir wollten einen Schritt weiter gehen und eine gleichberechtigte, Kulturen verbindende Musik schaffen.
Als sich Stepanida in Moskau aufhielt, schlug ich vor, dass sie nach Deutschland kommt, um gemeinsam an dem Projekt zu arbeiten. Ich besorgte ihr ein Visum, und sie kam für vier intensive Tage nach Konstanz. Dass sie nur Sakha und Russisch sprach und sich hier eine jakutische Persönlichkeit mit einem bayerischen Sturschädel traf, machte das Vorhaben nicht einfacher. Glücklicherweise traf ich einige Zeit vorher an der Uni Konstanz den Harry Raiser. Der Slawist war in einer deutschen Familie in Swerdlowsk aufgewachsen und kannte die kulturellen Unterschiede. Er half uns während der gesamten vier Tage zu kommunizieren. Ohne ihn hätten wir es wahrscheinlich nicht geschafft.
TranceSiberia ist für mich eine außergewöhnliche CD geworden, die das brüchige Spannungsfeld zwischen Tradition und globalisierter Zivilisation auslotet. Die Musik sitzt irgendwo zwischen traditioneller Musik, Jazz, Trance, Ambient und Electronica. „TranceSiberia“ wurde wieder komplett anders, als seine Vorgänger. Für mich war das Album eine der wichtigsten Produktionen überhaupt – und es war ziemlich erfolgreich.
>> Siehe hierzu auch unseren TEDx Talk. Mohamed Badawi und ich sprechen über unsere Erfahrungen in der musikalischen Zusammenarbeit in Deutschland, Sibirien, dem Sudan und dem Libanon. <<<
Klangkunst und Inemuri
Beim 4ten Album haben wir uns mit dem Thema „Inemuri“ beschäftigt. So nennt man in Japan die Kunst, überall und jederzeit ein Nickerchen machen zu können – sei es in der U-Bahn oder während einer Konferenz. Die Japaner trainieren das schon in ihrer Kindheit, sodass sie während des Schlafens trotzdem ihre Umgebung wahrnehmen und keine Haltestelle verpassen.
Wir haben uns gefragt, wie die Welt wohl für die Weggetretenen klingt. Auch Inemuri war wieder musikalisches Neuland, das ich wohl am ehesten unter Klangkunst einordnen würde.
Welches Konzept liegt eurer Musik und euren CDs zugrunde?
Wir haben ein organisatorisches Konzept, aber kein überall anwendbares musikalisches. Wir wissen nicht was morgen passiert. Vielleicht kommt einer von einer Reise zurück und bringt komplett neue Ideen mit. Unsere Projekte leben von der Neugier und der Auseinandersetzung mit neuen Entdeckungen. Gute Musik ist für mich das Resultat aus Erfahrung, Wissen, Intuition – und Risiko. Gute Musik hat Regeln, ist aber auch unvorhersehbar und überraschend. Gute Musiker spielen zusammen und doch folgt jeder auch seinem eigenen Groove. Gute Musik ist nie offensichtlich und manchmal schräg und aufwühlend, aber immer voller Ausdruck.
Seid ihr mit euren Ergebnissen zufrieden?
Klar, wir stehen auf unsere Projekte, aber wir sind nie wirklich zufrieden, zumindest nicht im Sinne von … das ist jetzt fertig … hinsetzen, ausruhen. Sobald ein Projekt abgeschlossen ist, kocht schon das Nächste in unseren Adern. Die Unzufriedenheit ist eine wichtige Triebfeder. Außerdem haben wir inzwischen viel Übung im „zwischen den Stühlen sitzen“, daß wir dort auch nicht mehr so leicht herunter fallen.
In eurer Musik scheint ein spezielles Verhältnis zur Tradition eine entscheidende Rolle zu spielen.
Tradition bedeutet das Weitergeben von Werten und Bräuchen, um die kulturelle Identität und ein gemeinsames Erbe zu bewahren. Ich glaube, das ist wichtig für uns Menschen, egal ob du Musiker oder Handwerker bist. Sie ist wichtig für den Umgang mit anderen Menschen, mit sich selbst und auch im künstlerischen Ausdruck. Tradition spiegelt sich immer auch in deinem Verhältnis zur Kunst wider. Das Spannendste an der Musik ist für mich die Begegnung von Innovation und Tradition, egal in welcher Form.
Tip, Berlin, 2006
INTERVIEW III (1989)
EIN INTERVIEW MIT THE BLECH
Sie nehmen das Leben, wie es ist: als ein wahnwitziges Simuttankonzert von Morden, Kulturschwindet, Erotik und Sauerkraut. Sie zerfetzen die Ethik und die Lüge der persönlichen Verantwortung; sie lösen das Leben in ein Gelächter auf. Dieses Leben heißt keineswegs Leben lassen. Dieses Leben heißt auch Gemeinheit, Notzucht und Besoffenheit – es ist der ewige Streit der Gegensätze. (..) Das Paradies zu wollen, ist ein Mißverständnis des Lebens überhaupt.
Die da das Leben so nehmen, wie es angeblich ist, heißen The Blech; der da beschreibt, wie The Blech das Leben so nehmen, wie es angeblich ist, heißt Hubl Greiner und ist Schlagzeuger, Perkussionist und Produzent einer Band, die der Spiegel als „kompetente Spinner“ und der Stern als „grenzenlos“ bezeichnete. Der hohe Standard des Stoffes, mit dem The Blech ihre Abnehmer versorgen, ist dabei unumstritten.
BÜHNENLEBEN
lnterior.- Ein wesentliches Merkmal Eurer letzten LP besteht in der Mitgestaltung durch Gastmusiker. Jedoch sieht man Euch auf der Bühne fast ausschließlich in der Grundbesetzung – aus finanziellen Gründen?
Greiner: Mit den Gastmusikern treten wir eigentlich eher selten auf. Wir laden sie gern ins Studio ein, um neue Sounds und neue Spiel-Möglichkeiten auszuprobieren. Im Studio haben wir Zeit zu tüffteln – live ist das anders… Deshalb bin ich z.B. für „Ich wollte meine Schuhe zerschneiden“ auch mit einem Tonband nach São Paulo geflogen und habe dort nach Musikern gesucht, die mit uns was machen wollen. Anfangs dachte ich, es wär total easy, aber es hat über einen Monat gedauert, bis ich einen Musiker fand, der so drauf war, wie wir, also auch diese unbändige Lust auf Neues in der Musik hatte. Das war bei Zé Eduardo Nazário der Fall, wir hatten uns sofort verstanden – er war ein Volltreffer und es war ein wirklich tolles Erlebnis mit ihm zu arbeiten.
lnterior: Beinhaltet dieser Unterschied auch abweichende lnterpretationsformen?
Greiner: Im Studio testen wir Sound-Möglichkeiten aus, die wir auf der Bühne nicht haben. Auf der Bühne ist dafür etwas anderes wichtig, da geht es um die Energie, um Präsenz und Interaktion. Für mich hat beides seinen Reiz.
DEFINITIONEN
lnterior: Würdet Ihr Euch als avantgardistisch bezeichnen?
Greiner: … als Unterhaltungsmusiker.
lnterior: Was darf man von einer Band erwarten, die von der ‚Bravo‘ „bewußtseinserweiternd- genannt wird?
Greiner: Ohhh, muss ich das erklären? Das ist halt Bravo. OK, vielleicht hat das jemand von denen so empfunden, aber ich nehme eher an, die haben das geschrieben, um was zu schreiben.
Am schönsten ist es aber schon, wenn unsere Musik einen Raum für Fantasie und Kreativität öffnet. Es ist ein tolles Gefühl zu merken, wenn Menschen beim Hören etwas für sich entdecken und vielleicht sogar inspiriert werden, selbst kreativ zu werden und Neues auszuprobieren.
POLITISCH
lnterior: Seht Ihr Euch als politische Band?
Greiner: Alle Art von Musik ist politisch.
lnterior: Implizit, sicher – und ausdrücklich?
Greiner: Es gibt keine konkrete politische Aussage, für mich ist trotzdem alles politisch, was wir machen. Wir stehen auf der Bühne und vermitteln Bilder die die Öffentlichkeit reflektiert. Das sind Prozesse, die wirklich stattfinden. Wir sind unterhaltend, aber wir fordern die Menschen auch – sie werden mit unseren radikalen Ideen konfrontiert.
lnterior: Der Begriff der Unterhaltung ist in diesem Zusammenhang etwas schwierig. Wir sprechen doch wohl nicht von der breiten Masse, sondern von einem ganz bestimmten Publikum…
Greiner: Auch ein „ganz bestimmtes Publikum“ liebt gute Unterhaltung.
RUHM UND EHRE
lnterior: Welche Rolle spielt der Erfolg?
Greiner: Erfolg gibt Selbstvertrauen. Wenn du Erfolg hast, fällt es dir leichter, dein Ding zu machen, weil du dich nicht verbiegen musst. Das ist dann oft auch der feine Unterschied – für dich selbst und für andere.
Echter Erfolg zeigt sich aber nicht nur in äußeren Ergebnissen, sondern vor allem auch in der persönlichen Entwicklung und in der Zufriedenheit, die daraus entsteht. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten gibt einem die Kraft, innerlich zu wachsen – unabhängig vom äußerlichen Erfolg.
Das heißt, auch ohne unmittelbaren Erfolg kannst du gute Arbeit machen, wenn du an dich glaubst. Echter Erfolg ist nicht immer sofort sichtbar – manchmal wächst sein Wert auch erst mit der Zeit. Dabei muss es nicht die breite Öffentlichkeit sein, die den Wert bestimmt. Erfolg kann auch an der persönlichen Erfüllung und Zufriedenheit gemessen werden. Das Gefühl, seine Leidenschaft zu verfolgen und einen positiven Einfluss auf sich selbst zu haben, kann sehr bereichernd sein. Ich freue mich über jeden, der diesen Glauben an sich hat.
lnterior: Warum habt Ihr ein Angebot von der Ariola abgelehnt?
Greiner: Ich traue den Leuten nicht. Die haben keine Erfahrung wie man mit unserer Art von Musik umgeht. Und ich traue uns nicht. Wir lieben unsere Unabhängikeit, sie ist unser kreativer Nährboden. Ich versuche lieber meine eigene Infrastruktur so gut wie möglich auszubauen. Das ist die bessere Basis.
VON ZWECKEN UND MITTELN
Musiker wie wir sollten aber trotzdem vom Big Business lernen. Beispielsweise wenn es um die visuelle Umsetzung der Musik geht.
lnterior: Die Methoden sind egal?
Greiner: Nein, aber es ist schwer zu entscheiden, was richtig ist. Ich versuche auf eine gesunde Art selbstkritisch zu bleiben.
lnterior: Von der Label-Philosophie zu einer konkreten Frage. Mit „Der Zertretene Mann Blues“ habt Ihr ein Gedicht von Ernst Jandl vertont. Kennt er das Stück?
Greiner: Ja, er war begeistert und freute sich sehr, daß wir es vertont haben. Wir sind Fans von Ernst Jandl. Er ist ein großer Mann.
GESAMTKUNST
lnterior: Eine weitere Episode in der Band-Geschichte oder ein Schritt in Richtung Gesamtkunstwerk?
Greiner: Es hat immer wieder am Rande damit zu tun. Unser Aktivitäten sind für mich persönlich ein wichtiger Teil meiner Entwicklung, genau wie für die Band. Bei jedem Versuch eine Idee zu realisieren, kommt ein neuer Horizont dazu – das ist ein guter Weg, sich zu entwickeln.
lnterior: Welche Rolle spielt für Euch die Spontaneität?
Greiner: Es gibt Momente, die klar strukturiert und konzipiert sind und es gibt Momente, in denen die Improvisation fester Bestandteil ist. Das ist beides wichtig für uns und wird sich wohl nicht ändern.
Tom Hulks 1992