Von einem der auszog, ein Haus zu bauen
Dort wo sich Pelly- und Yukon-River treffen…
Von Roland Papenberg 2004
Alle Jahre wieder besucht Luke den Hubl. Und dann plaudern sie über Kanada. Jenes Land, in dem sich Luke irgendwann in weiter Zukunft auf den Basaltfelsen hoch über seinem Grundstück zum Sterben hinsetzen wird.
„I bin dr Luke!“ sagt er, drückt seinem Gegenüber die Hand nach Gutsherrenart, setzt sich auf die Holzbank hinter seinem Kaffeebecher und schweigt erst einmal. Wir sitzen in der großen Wohnküche seines Freundes Hubl in Konstanz. Alle Jahre wieder besucht der Luke den Hubl in der ehemaligen französischen Cherisy-Kaserne. Und dann plaudern sie über Kanada. Jenes Land, in dem sich Luke irgendwann in weiter Zukunft auf den Basaltfelsen hoch über seinem Grundstück zum Sterben hinsetzen wird.
Sein erstes Blutopfer hat er ja schon dargebracht – eben auf dem Basaltfelsen hoch über dem Yukon-River. Als irdischen Dank an irgend jemanden da oben, dass er trotz aller Widrigkeiten und Irritationen sein Häuschen auf seinem Land bauen konnte, ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Davon erzählt Luke bei Hubls starkem Kaffee.
Und so hat er viel zu erzählen, der Luke – vom Landkauf in letzter Minute, dem Hausbau mit Hindernissen, Begegnungen mit zunächst einmal unfreundlich gesinnten Indianern und noch unfreundlicheren Bären, einem Waldbrand, dessen Flammen seinen Traum fast auffraßen. Ob und wie er letzteres verdaut hätte, kann er allenfalls erahnen. Aber man spürt heute noch, Jahre nach dem Brand, eine gewisse Anspannung, wenn Luke darüber spricht. Vielleicht ist es auch das Wissen, dass so etwas jederzeit wieder geschehen kann. Im Busch ist man den Launen und Gesetzmäßigkeiten der Natur ausgeliefert – und wenn man sich noch so sehr mit ihr zu arrangieren versucht.
Kanada-Erfahrung hat Luke zur Genüge. Immer wieder war er auf dem Yukon mit seinem Kanu unterwegs. Schon damals arbeitete der sympathische Allgäuer mit dem markanten Schnauzbart in Deutschland Schicht, sammelte freie Tage, um dann einige Wochen in Kanada verbringen zu können. Doch bald gab er sich damit nicht mehr zufrieden. Und weil sein Brötchengeber mitspielt, kann Luke heute drei Monate am Stück zu seinem geliebten Yukon pilgern. So lange nämlich wird er im Betrieb freigestellt – mit Arbeitsplatzgarantie. „Dann ist zwar später mal was von der Rente weg, aber was soll’s…!“
Was soll’s, wenn man im Mündungsgebiet von Yukon- und Pelly-River, direkt am Einfluss des Pelly rund 17 Hektar Land sein eigen nennen darf. Die nächste größere Ansiedlung ist Fort Selkirk, das indianische Freilichtmuseum. Vom kultivierten Highway geht es 50 Kilometer auf Wald- und Schotterwegen durch den Busch bis zur Pelly Farm. Eine ehemalige Versorgungsstation für die Planwagen auf ihrem Zug nach Dawson. Auf diesem historischen Grund lässt Luke sein Auto stehen, denn die letzten acht Kilometer zu seinem Land geht es per Kanu.
Doch bis es soweit war, floss viel Wasser den Pelly hinunter. Eigentlich hatte es Luke schon aufgegeben, das Land seiner Träume zu finden. Bis eines Tages ein Makler in Whitehorse zu ihm sagte: „Ich hab was für Dich!“ Und nicht arg viele hätten sich auf das dann folgende eingelassen. Im Büro des Maklers wurde Luke ein alter Plan mit einigen fotokopierten Fotos präsentiert. „Viel zu erkennen gab es da nicht“, erinnert sich Luke heute schmunzelnd. Immerhin wusste er, wo das Grundstück ungefähr liegen musste, denn mit dem Kanu hatte er diese Ecke schon durchfahren. Das Angebot kam übrigens drei Tage vor seinem Rückflug – danach hätte er die Suche nach Land aufgegeben.
Wieder zurück in Deutschland zeigte Luke dann einem Freund den Plan und der finanzierte tatsächlich den Landkauf mit:“ Buch einen Flug, geh rüber und kauf das Land“, habe ihm sein Freund damals kurz und bündig gesagt. Das ließ sich Luke nicht zweimal sagen und wieder in Kanada machte er sich dann zusammen mit dem Makler auf die Suche nach den Grenzpfosten auf seinem Land. Wahrlich kein einfaches Unterfangen auf 17 Hektar und einige der Pfosten wurden tatsächlich erst Jahre später entdeckt. Vier Tage lang ging Luke sein Land ab. Wald, Wald und nochmals Wald – „hinten raus kommt nichts mehr!“ Ein traumhafter Herbst tat dann noch das seine zur endgültigen Kaufentscheidung.
Doch noch war das Land nicht gekauft, denn manchmal gehen auch in Kanada die Uhren etwas anders. Wieder zuhause erfuhr Luke plötzlich, dass wichtige Papiere nicht beim Notar waren, Fristen waren verstrichen und mussten verlängert werden. Die ganze Sache stand bis zum Schluss auf der Kippe. Doch irgendwann dann konnte auch Luke den entscheidenden Eintrag im Grundbuch lesen.
Nun hatte der Allgäuer also – wie sich herausstellte – Indianerland gekauft. Und das ist nichts, was man mit einem Achselzucken abtut. Denn eigentlich wollten die Natives dieses Stückchen Erde (das ihnen ja eigentlich einmal gehört hat oder streng genommen immer noch gehört) selbst kaufen. Deshalb waren sie auf Luke auch nicht besonders gut zu sprechen, als sie hörten, dass er den Zuschlag erhalten hatte. Die Situation war nicht ohne und hätte durchaus eskalieren können – „ich hatte wirklich Angst, dass irgendwann plötzlich meine Hütte brennt“, denkt Luke mit gemischten Gefühlen an diese Zeit zurück. Doch dann erhielt er unerwartete Hilfe von einem Farmer, der zwei Indianerkinder zur Pflege aufgenommen hatte und über beste Beziehungen zu den Natives verfügte. Er ging in die Indianersiedlung und machte gut Wetter.
Das war auch bitter nötig, denn inzwischen griffen Lukes Gegner auch schon mal zu unsauberen Mitteln. Als eines Tages eine Elchkuh mit Kalb geschossen wurde – nicht nur für Indianer ein No-No – verbreitete ein Native, dass ein Weißer, sprich Luke, für den Abschuss verantwortlich sei. Doch dann klärte sich alles auf: der Indianer, der das Gerücht verbreitet hatte, hatte die Kuh selbst geschossen, um den Weißen in Verruf zu bringen und vom Indianerland zu vertreiben.
Dass in Kanada manche Entscheidungen auf ungewöhnliche Weise getroffen werden, erfuhr auch Luke. Denn dass sein Land mitten in der Wildnis überhaupt vermessen wurde (woraus sich die Steuer berechnet), hat er einem Waldbrand zu verdanken.
Eines Tages landete ein Hubschrauber bei seinem Haus. Ob er denn nichts gerochen habe, wollte die Besatzung wissen. Doch, doch, das hatte der Luke schon – „eine Brise von einem Lagerfeuer.“ Nun, nicht ganz richtig, der Wald stand in Flammen und Feuerwehrteams versuchten verzweifelt, das Feuer einzudämmen. Irgendwann jedoch wurde die Rauchentwicklung so stark, dass Luke evakuiert werden musste. Rauch und glühende Tannenadeln kamen seinem Haus immer näher. Sollte dies das Ende sein? Im Boot transportierte Luke die nötigsten Sachen zur Pelly Farm. „So habe ich noch auf Regen gehofft.“ Bald darauf sollte es zwei Tage lang regnen.
Der Alptraum war vorüber und Lukes mit eigenen Händen und primitivsten Hilfsmitteln errichtetes Häuschen gerettet. Dieser Hausbau ist eine Geschichte für sich, die sich all jene hinter den Spiegel stecken sollten, die tief im Busch ihr Häuschen errichten wollen. In Deutschland baute sich Luke zuerst einmal ein Modell seines Blockhauses, denn das musste es sein; kein Vinyl-Plaste-Cottage, wie es viele Kanadier bevorzugen.
Ganz allein war er nicht, denn Freunde boten sich an, beim Hausbau in Kanada zu helfen. Und so machten sich dann fünf Mann auf den Weg ins gelobte Land unterm Ahornblatt. Zuerst wurde ein Camp aufgebaut und nach Baumaterial Ausschau gehalten. Luke: „Und dann stellst du schnell fest, so einfach ist es gar nicht, geschnittenes Holz aufzutreiben.“
Durch Zufall fand er in Whitehorse einen Baumarkt, der Pleite gegangen war. Luke ging auf Einkaufstour und kaufte alle Holzbohlen (fünf Meter lang) auf; des weiteren noch Bleche, Bretter, Nägel und was man sonst noch alles für einen Hausbau benötigt. Doch dann gleich die nächste Herausforderung: wie das alles von der Stadt in den Busch transportieren? Ein Transportunternehmer vor Ort winkte ab – das sei doch kein Problem, da habe er schon andere Fuhren gemeistert. Und so kam sein Baumaterial von Whitehorse zur Pelly Farm – 350 Kilometer über hubbelige Waldweg, enge Brücken; Kosten 200 Dollar.
So weit, so gut – das Material wurde an der Farm in Ufernähe abgeladen. Von dort aus karrten Luke und seine Kumpels die kleineren Baumaterialien mit zwei Motorbooten zum Bauplatz – hin und her, her und hin. Aber was tun mit den großen Balken, den Fünf-Meter-Bohlen? Aber da gab es doch etwas in der kanadischen Geschichte? Luke erinnerte sich an die kanadischen Flößer, die das Land mit groß gemacht und so manchen Segelmasten für ein britisches Kriegsschiff den Yukon hinuntergeflößt hatten. Also wurde mit an der Pelly Farm angeschwemmtem Holz ein Floß gebaut, die Bohlen draufgepackt und zum Grundstück geflößt. Dort musste dann „nur“ noch alles das Steilufer zum Bauplatz hochgeschleppt werden.
Keiner der fünf Männer hatte zwar je ein Haus gebaut. Luke zum Beispiel hatte sich gerade einmal ein Zimmermann-Lehrbuch durchgelesen. Und dennoch entstand auf einem Kiesfundament ein Blockhaus – verzapft, auf kanadisch-bayrische Zimmermannsart, wie Luke nicht ohne Stolz meint. Die reine Transport- und Bauzeit dauerte sechs Wochen – „harte Sträflingsarbeit!“ Diese auch für kanadische Verhältnisse Rekordzeit von absoluten weißen Laien ging bei den benachbarten Natives in die Geschichte ein. Die Indianer waren so beeindruckt, dass sie die Geschichte über den Hausbau von Luke in ihre touristischen Führungen in Fort Selkirk einbauten. So hat Luke also doch noch seinen Frieden mit den Natives gemacht.
Was dann noch folgte, waren quasi die Feinarbeiten. Am Anfang zum Beispiel kochte Luke noch im Freien. Bis es ihm dann doch zu kalt wurde. Also baute er eine Küche und einen Keller zum Lagern von Lebensmitteln an. Kein einfaches Unterfangen, denn wegen des kiesigen Untergrundes konnte er so viel buddeln wie er wollte – es brach ihm wochenlang alles wieder zusammen; er erlebte die Sysiphus-Geschichte am eigenen Leib.
Und dann der Kellerbau. Wochenlang in der Erde gewühlt, weil auch hier immer wieder alles zusammenfiel. Bei 1,50 Meter Tiefe hörte er schließlich auf. Er baute sich eine Holzbox, passgenau, die er in seine gebuddelte Grube einlassen wollte. Da inzwischen kein Helfer mehr da war, musste er in die Grube steigen und unter die schwere Box klettern, die er dann Stück für Stück mit einem kleinen Flaschenzug-System nach unten ließ. „So aufgewühlt war ich nie mehr – wenn das Ding runtergekommen wäre, es hätte mich lebendig begraben.“
Hat es ihn aber nicht, das Ding, und es wird nicht die letzte Situation gewesen sein, bei der sich Außenstehende fragen werden, ist es das Wert? Für Luke hat sich diese Frage nie gestellt und wird es auch nie tun. Aber das kann wahrscheinlich nur nachvollziehen, wer seine Vision, seinen ganz persönlichen Traum verwirklichen kann.
Danke Roland